SAID
in manchen nächten
suchen platanen nach einem gott
der schweigen kann
die dunkelheit zieht sich zurück
der mond ruft die zikaden
die unbelehrbaren beten
auf eine geste des triumphs verzichten sie
SAID
in manchen nächten
suchen platanen nach einem gott
der schweigen kann
die dunkelheit zieht sich zurück
der mond ruft die zikaden
die unbelehrbaren beten
auf eine geste des triumphs verzichten sie
Filed under Poesie
Tadeusz Dąbrowski
Der Putz fällt von den Mauern des Kapuzinerklosters,
gleichmäßig arbeiten die Meißel, geben keine Ruhe.
In meinem Land an der Weichsel setzen sie Jesus auf den Thron,
und ich lausche in dem Schweizer Städtchen, wie Blumen
erblühen, Banknoten rascheln, ich höre die Vogelstimmen
gegen die globale Erwärmung und den Putz, der
von den Mauern aus dem siebzehnten Jahrhundert fällt.
Drei alte Ordensschwestern kennen mich schon,
sie sind wie Brieftauben aus einer gelichteten Schar
während des letzten Fluges, haben Probleme mit dem Gehör
und wundern sich, als ich erkläre, ich könne nicht schlafen,
weil die Meißel gleichmäßig den Putz von den Mauern des Klosters
Maria Opferung aus dem siebzehnten Jahrhundert schlagen,
ein vermodertes Kreuzgerüst entblößend. Indessen geht über
meinem Land ein Regenbogen auf, eine fröhliche Menge trägt
in der Monstranz eine Vagina als Hostie, und von den Sockeln
stürzen die Denkmäler der Priester, die sich ins Paradies zu drängen
versuchten durchs Nadelöhr kindlicher After und Scheiden.
Vögelchen singen, und Bienchen sumsen in den Gärten
des Kapuzinerklosters in Zug, wo drei alte
Ordensschwestern geduldig auf die Berufung
in die Ewigkeit warten. Auf der Promenade am See, der
an den See Genezareth erinnert, spazieren mit geblähten
Bäuchen zukünftige Mütter. Eine Stunde von hier
sterben an einer Spritze mit Gift die lebensmüden
Eigentümer des Lebens. Die Renovierung zieht sich
schon drei Monate, ich kann nicht schlafen, obwohl die Schwestern
behaupten, die Meißel arbeiteten nur am Tag, gleichmäßig
den Putz von den Mauern des Klosters schlagend. Die Glocken
der leeren Kirchen läuten jede Viertelstunde, die Glocken an den
Kuh- und Schafshälsen läuten fast ununterbrochen. Ansonsten
Stille, der Trauerzug der Wolken, der erstickende Geruch
nach verblühenden Glyzinien und dem Putz der alten Mauern
des Kapuzinerklosters, das schon im nächsten Jahr wie neu
aussehen wird, glaubt man den Meistern und den drei
Ordensschwestern mit ihren verkalkten, zerbrechlichen Körpern.
Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall
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Ursula Krechel
Zugute könnte man Appellen halten
dass Reden schwungvoll, Mikrofone
eingeschaltet, ausgeschaltet, sie zischen
in den Ohren, darüber klirrende Fahnen
zugute auch das Räuspern, Rachenlaute
poröses Lachen, das dann doch erstickt
zugute auch, jemand erschrickt, wenn
eine Wasserwand vor dem Gesicht und
nichts geschieht, still ist es dann, peinvoll
wie ein Versagen, das es nicht ist
Leute palavern, andere schweigen eher
wie’s wem zumute ist, weiß man nicht
Quelle: Ursula Krechel (Beileibe und Zumute), Jung und Jung Verlag, Salzburg, 2021.
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Friedrich Dürrenmatt
Im Unerbittlichen
fordere nicht Unerfüllbares
Halte die Spielregeln ein
Richte nicht die Gerichteten
Du bist einer von ihnen
Misch dich nicht ein, du bist eingemischt
Sei menschlich, nimm Abstand
Jeden trifft ein eigener Pfeil
Du kannst niemanden schützen
Unrechtes geschieht nicht
aber Furchtbares
Was geschieht, bist du
Es geschieht dir recht
Quelle: Friedrich Dürrenmatt: „Das Mögliche ist ungeheuer“. Ausgewählte Gedichte. Diogenes Verlag, Zürich 1993
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Konstantinos Kavafis
(aus dem griechischen von Robert Elsie)
Ein grauer Opal, den ich anschaute,
Erinnerte mich an zwei schöne, graue Augen,
Die ich vor vielleicht zwanzig Jahren gesehen hatte…
………………………………………………
Einen Monat lang hatten wir uns geliebt.
Dann fuhr er weg, nach Smyrna, glaube ich,
Um dort zu arbeiten, und wir sahen uns nie mehr.
Sie werden an Glanz verloren haben (wenn er noch lebt),
Die grauen Augen, und auch das Gesicht wird nicht mehr so schön sein.
O Gedächtnis, bewahre sie, wie sie damals waren,
Und, Gedächtnis, von jener Liebe bring mir
Heute abend, soviel du vermagst, zurück.
Aus: Konstantinos Kavafis: „Das Gesamtwerk“, hrsg. von Robert Elsie, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt (Main), 1999.
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Jan Wagner
nicht eine wolke über yucatán,
morgen für morgen nicht einmal das schimmern
von tau im gras; in ihren staubjacketten
die sisalpflanzen, sämtliche schamanen
längst heiser von beschwörungen, gebeten,
und nur vom flußbett das gequake
der jungen, die vorm rinnsal wie die kröten
zum sprung gekauert sind: cha-ac, cha-ac.
launisch wie alle götter, unser durst
dein weihrauch; abgezehrte, braune ochsen,
raschelnd wie alter farn, und tief im karst
du selbst, in deinem wasserloch hockend,
weit unter uns, ein schwerer steinerner mond,
der über die gezeiten herrscht von mais
und nichtmais. bilder zeigen deinen mund
als schwarze pfütze, malen dich mit reiß-
zähnen, darüber eine art von rüssel,
und beide hände trotzig auf den vasen
aus ton, in denen hagel, graupel, niesel
wie eingesperrte bienenvölker rasen.
wie wirst du kommen, wenn du kommst? als schwung,
als schwarm mit dem klatschen tausender silberflossen?
mit donnersohlen, oder mit dem klang
von nackten kinderfüßen auf den fliesen?
Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. August 2020, S.9.
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Elke Erb
Ich lag und sann, da kamen Kram-Gedanken.
Natürlich ist es recht, den Kram im Kopf zu haben.
So hältst die Sterne du in ihren Bahnen.
Statt aus der Welt heraus zu existieren
und fremd zu sein wie dir mehr als den Tieren.
Lass deinen Kram wie Himmelskörper strahlen
und denke dir zum Abschluss Brombeerranken.
erschienen in: Erb, Elke: Meins, roughbooks 2011
Infos: hier
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Anastasius Grün (Anton Alexander Graf von Auersperg)
Wo sie die wilde Schlacht geschlagen haben,
O lauscht nicht auf dem Feld nach Lerchensange!
Da kreischt die Krähe nur nach blankem Fange,
Dann kommen erst die Geier und die Raben;
Sie kommen zu beerben, zu begraben;
Dann kommt Erstarrung, Schweigen, lange, lange,
Bis spät der Sämann kommt vom nächsten Hange,
Zu streuen seines Saatkorbs neue Gaben.
Als läg’ im Körnlein eine Liederseele,
Erhebt sich dann aus seinem Ährenmeere
Die Lerche, eine sangbegabte Ähre.
„Wann steigt aus goldner Saat die goldne Kehle?“
Mich dünkt, die Toten sind noch unbegraben,
Noch währt die Zeit der Geier und der Raben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Samstag, Nr.108, 09.05.2020, S. 16
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Die Douglasie
Die Aussicht auf einen sonnigen und klaren Dezembertag trieb uns in die Eifel. Eine geführte Wanderung mit einem Nationalpark-Ranger der nicht nur ortskundig war, sondern auch allerhand Kapriolen im Gepäck hatte. Die Homepage pries die RANGERTOUR: „Sie wandern dort, wo sich Mauereidechse und Schlingnatter ein Stelldichein geben. Auf teils steilen, schmalen Pfaden erklimmen Sie den Honigberg mit atemberaubenden Ausblicken auf die Eifeler Stauseen.“ Das klang nach großem Kino.
Gewohnheitsgemäß sind die Tage nach Weihnachten von Ruhe und Beschaulichkeit geprägt, die Völlerei hat ein Ende, der Jahreswechsel ist in greifbarer Nähe, so dass sonnige Aussichten für viele Anlass genug sind, fünf Stunden bei klirrender Kälte im Wald umherzustapfen. Die Liebe zur Natur und das schlechte Gewissen über den unbefriedigten Bewegungsdrang der vergangenen Tage tun ihr Übriges.
Wir waren also 37 willige Wanderer die wissbegierig und wohlgenährt Zerstreuung im deutschen Wald suchten. Mittendrin eine Gruppe von vielleicht 20 indischen Studenten, die einen Ausflug aus dem nahe gelegenen Aachen in die Provinz gewagt hatten um ihrer weihnachtlichen Langeweile mit einem Waldspaziergang zu begegnen. Nicht der Fakt das Inder im Nationalpark Eifel auf Wanderschaft gehen, erstaunte mich. Der Sehnsuchtsort deutscher Romantik gehört jedem Besucher nährgebracht. Vielmehr die einheitliche Ausstattung der Studentengruppe mit hängenden Einkaufsbeuteln, gepufften Backerbsen und Bananen. Allesamt mit strahlend weißen, neuen Turnschuhen ausgestattet wirkte die Gruppe wie ein Fremdkörper im Wald. Keine Wanderschuhe, kein Wanderrucksack, keine Outdoorkleidung.
Wir machten uns also gemeinsam auf den waldigen Weg zum Honigberg. Hier und dort wusste der Ranger wissenswertes, kurioses oder beeindruckendes zu berichten, als sich die Gruppe vor einem vielleicht einen Meter hohen Nadelbaum versammelte. Tanne. Kiefer. Fichte. Der Ranger begann den Haupttrieb des Baumes abzubrechen. Ich erinnerte mich an die Homepage: „Nationalparke schützen die heimische Natur – so wie sie natürlicherweise wäre und wie sie sich ohne menschlichen Eingriff entwickelt. Das Motto ‚Natur Natur sein lassen‘, das in allen Nationalparken gilt, bringt diesen Grundsatz auf den Punkt.“ Mein Einwand, dass das Abbrechen von Bäumen doch im Nationalpark vielleicht keine so gute Idee… „Der Ranger weiß was er tut…“ war die Antwort die mich zu schweigen maßregelte. In einer Manier der 30er Jahre referiert unser Führer nun über den Naturschutz, aus dessen Sicht die Douglasie, die so wunderbar frisch roch, nicht als einheimisch gelte. Vielmehr sei der formelle Status „…Neophyt (‚Neupflanze‘)…[mit]…Ausbreitungstendenz.“
Die Inder mümmelten genüsslich den Inhalt ihrer Haldirams-Snacktüten und kauten stoisch die gepufften Backerbsen. Es machte am Ende des Tages auf mich nicht den Eindruck, als hätten sie viel von unserem Ausflug verstanden, vom Führer, den Neupflanzen oder dem Waldleben. Sie amüsierten sich jedoch köstlich über den offenbar unter einem Würghusten leidenden Jagdhund (Bayerischer Gebirgsschweißhund) des Rangers der auf den Schlussmetern sein Leid in Form eines Batzens Grashalme herauswürgte um den Tag quietschfidel an Herrchens Seite zu beenden.
Die Liebe zur Natur war befriedigt, das schlechte Gewissen beruhigt, der ungenügende Bewegungsdrang zur Räson gebracht. Die neuen Turnschuhe dagegen waren schmutzig. Dennoch schienen alle ziemlich zufrieden.
James Krüss
Seltsam schaut die Stadt heut aus:
Alle Fenster sind verdunkelt!
Und es flüstert und es munkelt
Sonderbar in jedem Haus.
Straßenbahnen läuten nicht.
Einsam leuchten die Laternen.
Und von oben aus den Sternen
Fällt der Schnee so weich und dicht.
Wie ein Riese schläft die Stadt,
Die der Himmel mit dem feinen
Weißen Schnee wie unter Leinen
Zärtlich eingemummelt hat.
In den Türmen hängen stumm
Große Klöppel im Gehäuse.
Nur der Wind weckt manchmal leise
In den Glocken ein Gebrumm.
Seltsam ruhig ist es heut
In den Straßen und den Gassen.
Selbst der Marktplatz ist verlassen
Und wie tot um diese Zeit.
Aber da mit einemmal
Wehen in das Spiel der Flocken
Von den Türmen, von den Glocken
Silbertöne ohne Zahl.
Und die Kirchen, groß und schwer,
Öffnen mächtig die Portale.
Und da gehn mit einem Male
Wieder Menschen hin und her.
Stimmen lachen, Türen gehn,
Und in schmalen Fensterritzen
Kann ich etwas golden blitzen
Und verwirrend blinken sehn.
Plötzlich scheint die Stadt erwacht.
Auch die Kinder hör ich wieder.
Und es tönen Weihnachtslieder
Fröhlich in die weiße Nacht.
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